Mittwoch, 10. August 2011

„Ehrlich“ ist etwas, was Vorteil bringt

©thaianonymus2011

Begriffe sind nicht statisch und nicht allgemeingültig. Man kann ihren Inhalt durch Definitionen oder auch durch Ausreden verändern. ‘Demokratie’ ist in Nordkorea, Thailand oder Holland nicht dasselbe. Die "Wahrheit" ist immer relativ und ‘ehrlich’ auch.

Psychologen behaupten, jede Handlung und jedes Verhalten habe einen Sinn und verfolge eine Absicht. Auf die vielen Handlungen hingewiesen, die offensichtlich völlig sinnlos sind, sagen sie, dass der Sinn oft in der Motivation liegt und dem Handelnden nicht immer bewusst ist. Doch was ist Ehrlichkeit und was könnte ihr Sinn sein?

In Deutschland glaubt man, ehrlich ist es, wenn ein Geschehen völlig objektiv berichtet wird oder bei einer Handlung niemand übervorteilt wird. Doch hier fangen bereits die Konzessionen an, die man bei der Ehrlichkeit eingestehen muss. Niemand kann absolut objektiv sein, also begnügt man sich damit, dass er sagt, wie er ein Geschehen erlebt hat und nicht bewusst lügt. Und ein bisschen übervorteilen ist ja völlig normal, gilt also auch noch als ehrlich.

Der Sinn der Ehrlichkeit ist die Möglichkeit des Vertrauens und Zusammenlebens. Wenn ich weiß, dass jemand lügt, kann ich ihm nicht glauben und nicht mit ihm leben, ja noch nicht einmal Handel betreiben. So gut wie alle Lügen werden gegen den Willen des Opfers gebraucht, um einen emotionellen oder finanziellen Vorteil zu erlangen, auch wenn es sich um sogenannte „Notlügen“ und Ausreden handelt, die aus irgendeiner Angst heraus entstehen. Wenn ich einen Menschen belüge, habe ich fast immer Angst vor ihm oder ich will ihn übervorteilen, betrügen. Das schließt eine Gemeinsamkeit und ein Zusammenleben aus. Auch dann, wenn die Lügen aus vorgeschobenen Gründen bestehen.

Die Forderung, dass Unterhaltungsbetriebe um ein oder zwei Uhr nachts schließen müssen, um Jugendliche nicht zum Konsum illegaler Drogen zu verleiten, ist eine glatte Lüge. Es müsste heißen: „Ich kann nachts nicht ausgehen, also sollen andere auch nicht.“ Das Verbot von „Spaghetti-Straps“ oder gar nackten Schultern bei Frauen mit dem Hinweis auf die verderblichen westlichen Sitten und die thailändische Tradition ist eine doppelte Lüge, denn erstens ist die Tradition der thailändischen Bevölkerung barbusig und zweitens sind nackte Schultern nicht verderblich. Das Verbot heißt also: „Ich fühle mich beim Anblick nackter Schultern sexuell angeregt. Da ich Sexualität aber für schmutzig halte oder nicht genießen darf oder kann, sollen andere Leute das auch nicht und deshalb müssen alle Frauen ihre Schultern bedecken.“ Eine glatte Lüge wäre es, zu sagen: „Selbstverständlich leben wir in einer Demokratie. Aber als Geschäftsführer dieses Landes muss ich bestimmen, was zu geschehen hat.“ Es gibt keine demokratische Geschäftsführung. Das heißt: „Ich will allein bestimmen. Ich verbitte mir jede Kritik und ich will, dass dieses System Demokratie genannt wird.“ Interessant ist hierbei die Überlegung, warum Regierung und Politiker lügen, wenn sie dabei ganz offensichtlich keine Gewinne, sondern nur hohe Verluste erzielen. Es bleibt die Erkenntnis, dass sie vor ihrem Volk Angst haben, sonst könnten sie die Wahrheit sagen.

Doch bisher haben wir nur von Politikern gesprochen, denken wir an die Demokratie und betrachten das Volk, denn es ist ja das Volk, das seine Politiker und seine Regierung gewählt hat und akzeptiert. Also müssen wir sehen, wie und wozu das Volk erzogen wird. Die überwiegende Mehrheit von Thailändern wird auch heute noch da-zu erzogen, die Eltern zu ehren, für sie zu leben, sie zu ernähren und zu versorgen, weil sie ihnen ihr Leben verdanken. Das ist, was man den Kindern in Europa noch vor sechzig und mehr Jahren beibrachte und längst als Lüge akzeptiert. Die Kinder werden durch einen biologischen Zufall als Folge von Sexualität geboren; nur die allerwenigsten Kinder werden gewollt gezeugt. Zudem ist es nicht zutreffend, dass die Kinder leben können, nur weil sie geboren sind. Neugeborene können nicht leben; diese Fähigkeit muss ihnen vermittelt werden und dazu gehört das Recht auf Selbstbestimmung. Doch weder die Eltern noch die Schule vermitteln Lebensfähigkeit, vielmehr wird sie den Kindern hier entzogen und man bringt ihnen bei, sie haben für ihre Eltern und für ihr Vaterland zu leben.

In der Schule lernen die Menschen, dass sie besser als andere sind, weil sie in ihrem und nicht in einem anderen Land geboren sind. Auch diese Lüge hat man in Europa bis vor rund fünfzig Jahren verbreitet. Wenn auch einzelne Leute selbst heute noch daran glauben, hat man die Mitteilung doch als Lüge erkannt. Nun ist noch zu beachten, wie sich die Ehrlichkeit, mit denen Kinder und Jugendliche in ihrer Erziehung groß werden, im Alltagsleben auswirkt. Hier finden sich jedoch einige vorrangige Grundregeln für ein reibungsloses Gesellschaftsleben: Grundsätzlich darf niemals „nein“ gesagt werden, weil es unhöflich ist. Das Wort ist im Thailändischen nicht bekannt, es gibt nur ein „nicht ja“, das auch unhöflich ist. Deshalb ist es unbedingt erforderlich, Fragen mit „ja“ zu beantworten, auch wenn man nicht zugehört oder nichts verstanden hat.

Meinungen und Äußerungen von Vorgesetzten (Eltern, Lehrer, Chefs, Mönche, Polizisten, Beamte und Regierende) darf niemals widersprochen werden. Sie müssen auswendig gelernt und sollten als unumstößliche Wahrheiten verbreitet werden. Es darf nichts gesagt werden, was den Hörenden nicht erfreut. Das bezieht sich nicht nur auf Meinungen über ihn, seine Familie und seine Freunde, sondern generell auf alle Informationen (weil es sich schöner anhört, wenn man sagt: „Ihre Frau hat sich gerade zur Ruhe begeben“, statt: „Ihre Frau ist überfahren worden“). Dazu gehören auch Mitteilungen, die den Hörer betrüben und für den Sprechenden negativ sein können, etwa bei einer Vorstellung „ich bin nicht zur Schule gegangen“, „ich bin gar kein Arzt“, „ich bin verheiratet“ oder „meine ganze Familie sucht einen Farang“.

So sind wahre Worte in Thailand selten und ich verbleibe mit der letzten unumstößlichen Wahrheit: I love you too much!

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